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hier

wo ich lebe

gibt es so viel Liebe

dass

die Männer es lernen Kälte Hitze und Schmerz zu ertragen

es lernen zäh zu sein

Liebe ist ihre Bestimmung

deswegen sind sie da zu lieben und zu hoffen zu glauben und zu hadern alles zu verlieren und von vorn zu beginnen

die Liebe trügt nicht und der Tod weicht zurück

… und dann spricht sie über all ihre ganzen Erfahrungen von Liebe – gefundene und verlorene, erhaschte und missachtete, gestohlene und abhanden gekommene, offene und geheime, glückliche und preisgegebene Liebe. Liebe, die plötzlich und überraschend kam, Liebe, die sie sorgfältig entwickelte, Liebe mit einem Stich Feuer und Metall, Liebe mit Resten nächtlicher Skandale und morgendlicher Stille, Liebe, die sie schnell durchlebte und die sie später immer wieder anzog, Lieber, vor der sie sich schützte und mit der sie ins Gleichgewicht fand. Sie redet, vergegenwärtigt und phantasiert, vergisst und verwechselt die Plätze, verteidigt Freunde und beschuldigt Freundinnen, enthüllt blutige Geheimnisse und zeigt Tatorte. Nennt Adressen, an denen es ihr gut ging, erwähnt Höfe, auf denen sie ihren Glauben verloren hat, klagt über die U-Bahn, die sie einsam gemacht habe, ruft sich die Busstrecken ins Gedächtnis, die ihr stets neue Kraft verliehen haben. Wiederholt die Namen ihrer Verlobten, erzählt, wie es ihr mit ihnen ergangen ist, was ihr an ihnen gefallen hat, warum sie nicht ohne sie leben konnte, wie sie sich schließlich alle losgeworden ist.

Redet über Liebe, die nicht zugeben wollte, und über die Liebe, die sie leichtfertig mit allen teilte, Liebe, aus der nichts werden konnte, und Liebe, die zu Leichtigkeit und Anhänglichkeit verurteilt war, Liebe mit vielen Geheimnissen, Liebe, die in Briefen und Telefongesprächen überdauerte, Liebe, die sie später gern beweinte, und Liebe, die ihre Tränen trockneten. Sie flüstert von Liebe, die sie klug und schutzlos gemacht hat, Liebe, mit der sie sich brüstete und verteidigte, Liebe mit unausweichlichem Schmerz und Liebe ohne die Chance, etwas zu behalten, Liebe als Mittel in einer fremden Stadt zu überwintern, Liebe als Mittel gegen Altern und Krankheit, Liebe als Septemberluft und Julilaub, Liebe als Stimme und Liebe als Schmerz, Liebe, die schnell müde macht, Liebe, die nie reicht.

Unsere Männer ertragen Kälte Hitze und Schmerz. Sie wachsen auf, um Festungsmauern zu bewachen. Zu lieben. Und zu sterben.

Deswegen sind sie da zu lieben und zu hoffen,

zu glauben und zu hadern,

alles zu verlieren und von vorn zu beginnen

in der Hoffnung, dass sie die Liebe dieses Mal nicht trügt und der Tod zurückweicht.

Unsere Frauen haben eine merkwürdige Eigenschaft: Sie werden – wie Blumen – vom Wind und von den Sonnenstrahlen befruchtet, nutzen dafür Bienen und Schmetterlinge, sie wachsen auf, um zu lieben – die Männer wissen das und machen sich darauf gefasst, auf Frauen zu treffen, deren Zärtlichkeit unerschöpflich und deren Leidenschaft ungezähmt ist.

Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe

© Serhiy Zhadan

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